„Das epische Theater” von Brecht |
In den Anmerkungen zur Oper Mahagonny gab Brecht folgende Gegenüberstellung des “dramatischen”Theaters und des “epischen”Theaters:
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Dramatische Form des Theaters | Epische Form des Theaters | |||
verwickelt den Zuschauer in eine Aktion | macht ihn zum Betrachter | |||
und verbraucht seine Aktivität | aber weckt seine Aktivität | |||
ermöglicht ihm Gefühle | erzwingt von ihm Entscheidungen | |||
vermittelt ihm Erlebnisse | vermittelt ihm Kenntnisse | |||
der Zuschauer wird in eine Handlung hineinversetzt | er wird ihr gegenübergesetzt | |||
Die Empfindungen werden konserviert |
bis zu Erkenntnisse getrieben. |
Dieses Schema zeigt eine
Gegenüberstellung von zwei verschiedenen Gestaltungsweisen. Die linke
Spalte zeigt die vorherrschende Darstellungsmittel im Theater, die rechte
Spalte die von Brecht vorgeschlagenen und experimentierten Darstellungsmittel.
Vor allem muss man das Missverständnis vermeiden, dass im Brechts
Theater tatsächlich nur oder vorwiegend die „epischen”Darstellungsmittel
auf der rechten Spalte verwendet werden. In Wirklichkeit benutzt Brecht
in seinem Theater auch vorwiegend die dramatischen Darstellungsmittel.
Dabei werden die dramatis personae nachgeahmt und die Handlung wird
durch Interaction und Dialoge der dramatischen Personen als „Schein der
Wirklichkeit”vorgespielt. Gleichzeitig verwendet Brecht die sogenannten
„epischen”Darstellungsmittel, die vor allem durch Einsatz der vermittelnden
Personen wie Sänger und Musiker im Kaukasischen
Kreidekreis, Songs, Transparente, Masken usw. die Handlung, Personen
und Dialoge verstellen, kommentieren und unterbrechen.
Wichtig an diesem Schema
ist, dass im epischen Theater Brechts der Zuschauer nicht nur den „Schein
der Wirklichkeit”oder die dramatische Illusion betrachtet, sondern auch
bewusst als Gegenüber von dramatis personae und Handlung betrachtet und behandelt wird. Dadurch wird die
dramatische Illusion als solche verdeutlicht. Der Zuschauer wird von der
Bühne unmittelbar angesprochen, so dass er sich seiner Anwesenheit bewusst
wird. Die handelnden Personen und die dramatische Handlung werden
Gegenstand seiner Untersuchung, genauso wie sie Gegenüber der Darstellung
des Schauspielers ist. Die Beziehung des Schauspieler und des Zuschauers
ist also von “theaterrealistischer”Natur. Sie sind gemeinsam eine bewusste
Einheit des Theaters. Wenn die handelnden Personen immer wieder “aus der
Rolle fallen” , so ist das ein Versuch, diese theaterrealistische
Beziehung zwischen des Zuschauers und des Schauspielers”zu
verdeutlichen.
Um das zu erreichen, benutzt
Brecht neben dramatischen Darstellungsmittel auch theatralische Darstellungsmittel,
die er als “episch”bezeichnet. Mittels der „epischen“ Gestaltungsmittel
soll der Schauspieler seine dramatische Figur so darstellen, so dass der
Zuschauer an der Person auf der Bühne nicht nur die dramatische Figur,
sondern den Darsteller dieser Figur sieht. Der Schauspieler soll klarmachen,
dass er nicht mit der dramatischen Figur identisch ist. Er soll sie gestisch
zeigen, von ihr erzählen (episch = erzählerisch). Wichtig
für seine „epische“ Darstellung ist also nicht mehr die mimische Nachahmung,
sondern die gestische Deutung. Durch seine gestische Sprache z.B. kann
der Schauspieler sich von der Figur, die er darstellt, trennen. Neben
sprachlichen Gesten kann der Schauspieler auch andere Mittel wie Komik,
Selbstbetrachtung, Zuschaueransprache benutzen, um seine unabhängige
Stellung deutlich zu machen.
Die Handlung im “epischen Theater”läuft nicht immer auf Spannung hin. Das typische dramatische Theater baut auf der Spannung und verlangt eine geschlossene Konstruktion der Handlung mit markiertem Anfang, Höhepunkt und Ende. Die berühmten drei Einheiten von Zeit, Raum und Handlung, die einsträngige und gradlinige Zielstrebigkeit der Handlung, die Einheit von hoher sozialer Stellung und gehobener Sprache der dramatis personae haben alle die Spannung zum Ziel. Solche formalistische Strenge erscheint Brecht als nicht geeignet, die moderne Realität wiederzugeben. Er verlangt für sein “episches Theater” neben der Spannung die Unterbrechung. Danach soll die Handlung nicht zielstrebig zu Ende laufen, sondern in verschiedenen unabhängigen Szenen dargestellt werden. Diese Form der “epischen”Darstellungsweise nennt er eine “große Form”. Die Literaturkritik bezeichnet seine dramatische Form mit der des modernen Dramas als eine “offene Form”im Gegensatz zur “geschlossenen Form”des dramatischen Theaters. Songs und Balladen werden bei Brecht bevorzugt als Einlagen eingesetzt, um die Handlung zu unterbrechen und die Zuschauer von der dramatischen Illusion erneut herauszuholen. Auch Plakate, Projektion, Transparente und andere theatralische Mittel werden benutzt, um solche Unterbrechungen herzustellen. Historisierung ist auch ein wichtiges Mittel im “epischen Theater”. Die Handlung eines klassischen dramatischen Darstellungsweise ist typischerweise als “gegenwärtig”und “wirklich vor Augen” des Publikums betrachtet. Der Zuschauer bekommt dadurch oft eine Illusion, als ob er ein wirkliches Ereignis erlebte. Auch im „epischen“ Theater vorwiegend eine gegenwärtige Wirklichkeit dramatisch dargestellt. Brecht will diese dramatische Handlung aber auch bewusst “historisieren” oder sie dem Publikum als eine Vergangenheit vorstellen. Später nennt er die Technik dafür “Verfremdungseffekt”oder “V-Effekt”. Das scheinbar Bekannte wird so dargestellt, dass der Zuschauer nicht auf einmal als bekannt erkennt. Stattdessen wird der Zuschauer sich wundern, warum er dasselbe früher nicht so betrachtet hat. Zusammengefasst verwendet Brecht in seinem Theater zweierlei Darstellungsmittel, dramatische und theatralische. Während die dramatischen Gestaltungsmittel für die innere dramatische Handlung, die Dialoge und die Interaction der Figuren sorgen, sind die theatralischen Darstellungsmittel dazu da, um diese Handlung als „Schein der Wirklichkeit“ oder dramatische Illusion zu entlarven und das Bewusstsein des Zuschauers wachzuhalten bzw. wiederherzustellen. WeitereInformationen im InternetDer kaukasische Kreidekreis:
Theater ist Theater: Ein Vergleich der Kreidekreisstücke
Bertolt Brecht und Li Xingdaos
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