Auszug aus "Drei Variationen über meine Großmutter"


von Irmtraud Morgner

Ich hatte mal eine Großmutter. Die war und hatte einen langen . Drei Meter lang war er. Und zwei Meter hoch und einen Meter . Er nahm ein Drittel des Zimmers ein, in dem sie wohnte. In den anderen zwei Dritteln standen Bett, Tisch, Stuhl und Ofen. Aber das man erst, nachdem man Platz genommen hatte.

Wenn man , sah man nur den Schrank, ein blaugestrichenes Gehäuse mit Türen und . Auch die Großmutter fiel zunächhst nicht ins Auge. Selbst wenn sie vor dem Schrank stand. Sie trug sommers wie winters ein blaues Kleid und darüber eine blumenbedruckte . Wenn Besuch kam, sie sich mit dem Stock hoch vom Stuhl, hängte den Stock an der auf am Tisch und mit beiden Händen mehrmals über die Schürze. Dann humpelte sie zum Schrank, wenn sie nicht schon davorstand, was nicht selten geschah, denn sie hatte oft drin zu tun, sie humpelte also und auf dem kürzesten Wege zum Schrank, manchmal noch, bevor der Besuch hatte, ihr die Hand zu geben, öffnete eine von den mit Blumen und Früchten Türen und holte das Kaffeegeschirr raus.

Nun kam es natürlich vor, daß der Besuch keinen Kaffee wollte. Ich zum Beispiel wollte nie Kaffee. Aber die Großmutter wollte, daß ich wollte. Die Großmutter hatte einen starken Willen. Ich trank also Kaffee. Und sie sah mir zu dabei und freute sich. Und fragte ab und zu, wie er schmeckte. "Gut", sagte ich ab und zu, und er schmeckte auch gut, nicht nach Kaffee, denn er war mal ein Geburtstags- oder ein Weihnachtsgeschenk gewesen und mindestens ein halbes Jahr alt. Er schmeckte nach dem buntbemalten Schrank. Nach den wundersamen des Riesenschranks, in dem die Großmutter ihre : Wäsche, , , , Kleider, Mehl, Zucker, Salz, Leinöl, Tee.

February 16, 2002