von Peter Härtling Mark bekam seine Eltern ganz anders als die Kinder sonst. Er wurde von seiner Mutter nicht geboren; er war schon fünf, als er sie kennenlernte. und er hat ganz anders geheißen. Er ist nämlich in Vietnam zur Welt gekommen, mitten im Krieg. Von seinem Vater wußte man nichts mehr; er war im Krieg - wahrscheinlich hatte ihn eine oder Granate getroffen. Als um das Dorf gekämpft wurde, floh seine Mutter mit ihm und seinen vier Geschwistern. Sie liefen mit vielen anderen Menschen auf der Straße und wußten eigentlich nicht, wohin. Überall im Land war Krieg. Ein Flugzeug kam tief herunter und schoß in den Menschenzug hinein. Die Mutter wurde getroffen, stürtzte hin und starb. Die Kinder blieben bei ihr, sich neben sie, weinten. Andere Leute sie und sie mit. In irgendeiner Stadt wurden sie in einem Heim abgegeben. Damals war Mark drei jahre alt. Seine Geschwister kamen mit der Zeit in andere Heime. Er blieb allein, vergaß alles - nur manchmal träumte er noch davon, wie die Mutter im Straßenstaub lag. Dann er im Schlaf, wachte davon auf, und eine Schwester mußte ihn beruhigen. Das war nicht einfach. Der Schrecken saß tief in ihm. Nach zwei Jahren, in denen er immer wider krank war, brachte ihn eine der Schwestern zu einem großen Flugzeug, in dem er mit anderen vietnamesischen Kindern in ein fremdes Land flog, wo neue Eltern auf ihn warteten. Er hatte Angst vor alldem. Alles war anders als zu Hause. Es gab keinen Krieg. Niemand fürchtete sich vor Bomben. Die neuen Eltern waren und viel größer als seine ersten Eltern. Sie . Aber sie waren freundlich zu ihm. Sie wohnten in einem Haus mit Garten und zeigten ihm ein Zimmer, das ihm ganz allein gehörte. Sie gaben ihm neue Namen, und er hatte mit einem Mal auch eine neue Schwester: Sie hieß Renate und war zwei Jahre älter als er. Zu essen gab es, was er wünschte. Trotzdem war er noch oft krank, und die neue Mutter sagte: Das hast du aus dem schrecklichen Krieg mitgebracht. Er hieß jetzt Mark Dobler. Es fiel ihm nicht leicht, seinen Namen auszusprechen, doch er lernte rasch die neue Sprache, Deutsch, und nach einem Jahr redete er wie Renate. Er hätte auch nicht mehr gemerkt, daß er anders war als die Kinder hier, wenn sich nicht die Leute nach ihm umgedreht hätten. Dann sagte sein Vater: Die sind blöd. Das kann dir egal sein. Die Kinder, mit denen er spielte, hatten sich längst an ihn gewöhnt. Er war einer von ihnen, daß er nicht ganz so aussah wie sie, Haar und gelbe hatte, fiel ihnen nicht mehr auf. Er war ihr Spielkamerad, ihr Freund. Wenn einer doch mal eine dumme Bemerkung machte, bekam er es mit Renate zu tun. Renate hatte ihn gern wie eine Schwester. Mit der Schule änderte sich das. Am ersten Tag brachten ihn die Eltern hin, der Lehrer war allzu freundlich zu ihm, was ihm nicht , und die Kinder starrten ihn an, als käme er vom Mars. Er hatte Angst und Wut. Er wußte, daß er sich würde müssen. Die Eltern mußten gehen. Der Unterricht begann. Der Lehrer bat die einzelnen Kinder, ihren Namen zu nennen. Als die Reihe an ihm war, sagte er: Mark Dobler. Der Lehrer schrieb nicht wie bei den anderen den Namen in ein dickes Buch, sondern begann eine Rede zu halten: Wie ihr wahrscheinlich schon wißt, kommt Mark aus Vietnam. Er hat seine Eltern verloren und ist von Doblers angenommen worden. Mark fand dieses "an Kindes Statt" ganz . Irgendwie falsch und gemein. Doch er sagte nichts, hielt den Kopf gesenkt, . Der Lehrer sagte weiter: Seid nett zu ihm, behandelt ihn aufmerksam. Da stand Mark auf und sagte leise: Aber ich bin doch wie die anderen. Der Lehrer lachte: Wenn du meinst, Mark. Ja, das stimmt, sagte Mark. In der Pause kam niemand zu ihm. Er stand allein. Er war nahe daran zu weinen. Aber er es. Vor denen wollte er sich nicht schwach zeigen. Nein. Einen Horde von Jungen kam auf ihn zu. Es waren größere, aus der zweiten oder dritten Klasse. Sie bildeten einen Kreis um ihn, und der, den sie Tom riefen, sagte: Wo kommst'n du her? Mark sagte: Ich wohne in der Bieberstraße. Nee, wo du herkommst, will ich wissen, sagte Tom. Von hier, sagte Mark. Jetzt wird der Gelbe auch noch frech, sagte Tom. Laß ihn, sagte ein anderer. Warum? sagtte Tom. Wenn er mich auf den Arm nimmt. Mark versuchte, aus dem Kreis herauszukommen, doch die Jungen ließen es nicht zu. Jetzt muß ich mich eben prügeln, dachte, er; am liebsten hätte er sich auf den Boden gelegt, zusammengerollt und geheult. Sie waren hundsgemein. Sie hatten ihn "der Gelbe" genannt. Jetzt, sagte er sich, rannte mit gesenktem Kopf auf Tom los, doch der fing ihn auf und schlug ihm ins Gesicht. Er mit den auf Tom ein. Mensch, der Chinese hat ja , sagte Tom. Ich bin kein Chinese, schrie Mark. Du bist doch gelb im Gesicht, sagte Tom. Bist du auch gelb am Bauch und am Hintern? Ich bin aus Vietnam, sagte Mark. Nun konnte er das Weinen kaum mehr unterdrücken. Du bist nicht aus Vietnam. Du bist gelb. Du bist ein Chinese. Ich bin ein Deutscher, sagte er sehr leise. Aber Tom hatte es gehört. Der will ein Deutscher sein! Habt ihr gehört Der ist gelb und will ein Deutscher sein. Mark gab auf, legte die Hände vors Gesicht und schluchzte. Einer der Jungen zog Tom zurück und sagte: Laß ihn doch in Ruhe. Er kann ja nichts dafür, daß er gelb ist. Endlich kam einer der Lehrer und holte ihn heraus. Er mit den Jungen. Tun Sie's nicht, sagte Mark. Aber sie haben dich doch . Ja, sagte Mark. Am nächsten Tag wollte er nicht in die Schule gehn. Der Vater , er wurde ihn hinbringen. Das wollte er aber nicht. Er ging mit Renate. Auf dem Hof hörte er, wie einer zum anderen : Da ist er, der gelbe Junge. Er riß sich von Renates Hand, rannte auf den Jungen zu, sprang an ihm hoch, klammerte sich an dessen Hals, so daß der Angst bekam und flehte: Laß mich los. Nenn mich nicht noch einmal "gelber Junge", sagte Mark. Nein, nein. Er ließ den Jungen los. Als er sich von ihm abkehrte, gab der ihm einen Tritt in den Hintern. Mark flog nach vorn. So listig seid ihr ... ihr Weißen ... Er schämte sich, fühlte sich krank, packte den , lief aus dem Schulhof, nach Hause. Heute mußt du nicht in die Schule. Morgen, sagte Mutter. Ich will nach Hause, sagte er. Du bist doch hier zu Hause, sagte seine Mutter. Er sah, daß sie traurig war. Bei euch schon, sagte er. Aber sonst nicht. Manchmal denke ich das auch, sagte Mutter. Aber wir werden es schon . Er schafte es, gewöhnte sich daran, "gelber Junge" genannt zu werden. Mit der Zeit taten das nicht mehr viele. Als er in die dritte Klasse kam, wäre er beinah zum Klassensprecher worden. Es fehlten nur vier Stimmen. Wir haben dich lieb wie Renate, sagten seine Eltern. Es war so. Er wußte es. Er es. Aber nachts träumte er noch immer, daß ihn eine Horde weißhäutiger Kinder verfolgt, ihn und und daß er am Ende sich hinwirft, darauf wartet, von ihnen und zu werden. Der gelbe Junge! Er war nicht sicher, ob diese Träume je würden, obwohl seine Eltern ihn liebten, obwohl er hier zu Hause war und obwohl er sich an das Land, aus dem er gekommen war, und an seine ersten Eltern nicht mehr erinnern konnte. |