Der kaukasische Kreidekreis
von Brecht
| Inhaltsangabe| | Entstehungsgeschichte| Interpretation| Fragen| Eine Aufführung| Der chinesische Kreidekreis von Li Xingdao| Analyse der dramatischen Figuren [For English version, click here] Grusche Vachnadze und Azdak in Brechts Kaukasischem Kreidekreis sind zwei vielseitige und eindrucksvollste dramatische Personen. Sie sind beide einfache Leute, die jedoch etwas Außerordentliches unternommen haben. Grusche Vachnadze ist eine gewöhnliche Magd, die sich durch eine Reihe von Zufällen allmählich entscheiden muß, für ein adliges Kind zu sorgen. Sie ist sich der damit verbundenen Gefahr völlig bewußt, nämlich zusammen mit dem Gouverneurserben gefangengenommen zu werden. Sie muß sich eine ganze schlaflose Nacht nehmen, um ihre Angst zu überwinden, bevor sie sich der schrecklichen Verführung der "Güte“ hingibt. Sie ist sich dessen bewußt, daß das Leben des Kindes ganz von ihr abhängt und sie der Situation nicht entkommen kann, in der das Kind ihre Hilfe benötigt. Grusche ist doch eine Ausnahme. Obwohl sie hofft sehr, sobald wie möglich vom Kind wegzugehen, kann sie es jedoch nicht leisten. In diesem Sinne unterscheidet sie sich nicht nur von der Gouverneursfrau, die sich mehr um ihre teueren Kleider als um ihr eigenes Kind kümmert, sondern auch von den Leuten um ihr, die sich nur um ihr eigenes Interesse und ihre eigene Sicherheit kümmern und nichts mit dieser gefährlichen Verantwortlichkeit zu tun haben wollen. Grusche leistet das Außergewöhnliche. Sie zeigt, daß es eine andere Möglichkeit gibt, die in den bestehenden Verhältnissen ungewöhnlich: die eigenen Interessen für gesellschaftlichen und menschlichen Gründe zu opfern. Azdak ist eine volkstümliche kulinarische Gestalt. Diese Gestalt wird aber nicht nur angelegt, um den Zuschauer zu unterhalten. Azdak ist ursprünglich ein Dorfschreiber. In einer chaotischen Zeit wird er zufälligerweise von den Panzerreitern zum neuen Richter für zwei Jahre gewählt. Während dieser zwei Jahre revidiert er die Gesetze zugunsten der armen Leute, und schafft etwas, das der Gerechtigkeit nahe steht. Zum Schluß der zwei Jahre muß er sich um seine eigene Haut kümmern. Glücklicherweise wird er nicht nur vom Großfürsten gerettet, sondern kann in seiner Stellung weiterbleiben. Seine Anwendung des Kreidekreisverfahrens zeugt nochmals von seinem Gerechtigkeitssinn und er gibt der Grusche das Kind. Azdak zeigt seine tiefe Menschlichkeit und Klugheit. Gleichzeitig kann man in dieser Figur einen lustigen, genußfreudigen and einfachen Dorfschreiber entdecken. Die Panzerreiter haben ganz Nadel auf den Kopf getroffen, wenn sie sagen: "Der Richter war immer ein Faulenzer, jetzt soll ein Faulenzer der Richter sein." Azdak urteilt stets parteiisch zugunsten der armen Leute, aber er nimmt auch Schmiergelder von den reichen Leuten. Er bewahrt das Ansehen des Gerichts, aber benutzt zugleich das Gesetzbuch als Sitzkissen. Azdaks Richterstelle ist nur ein Nebenprodukt einer Ausnahmesituation. Deshalb muß er seine Tätigkeit aufgeben, nachdem er sich letztes Mal für arme Leute entschieden hat. |