Die Chinesische Mauer--Analyse
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zu Die Chinesische Mauer lesen.
AnalyseMax Frisch bezeichnet die Gestalten in seinem Stück Die Chinesische Mauer bewusst wie Brecht als "Figuren", anstatt wie üblich Personen. Dabei betont er die Sinnbildlichkeit und das Spielerische des Theaters. Jede Figur ist also ein durchsichtiges Sinnbild für eine bestimmte Vorstellung. Das Folgende ist eine Übersicht der Sinnbilder, die die Figuren in dieser "Farce" darstellen:
Obwohl Frisch viele künstlerische Ähnlichkeiten mit Brecht und den traditionellen chinesischen Dramatikern teilt, unterscheiden sich die philosophischen Grundlagen seiner theatralischen Technik grundsätzlich von denen des Brechtschen Theaters und des chinesischen Theaters. Seine philosophische Voraussetzung ist eine pessimistische: die Welt kann nicht durchschaut oder verändert werden und den Zuschauern kann nicht durch jegliche Warnung oder Belehrung geholfen werden. Das Ziel von Brechts „epischem” oder „dialektischem” Theater ist die Veränderbarkeit der Welt zu zeigen, und den Zuschauern dabei zu helfen, sich um diese Veränderbarkeit zu bemühen. Die chinesische theatralische Darstellungsweise hat natürlich keine Absicht, die Zuschauer im Sinne Brechts zu verwickeln, es glaubt jedoch, dass man den Zuschauern mit einer „positiven” Lösung der Probleme durch die dramatische Handlung helfen kann. Frischs philosophische Pessimismus fordert die optimistische Prämisse von Brechts Verfremdungseffekt und der Theatralität des Chinesischen Theaters heraus. Das scheinbare Spielerische von Frischs Theater hat keinerlei Beziehung mit irgendeiner optimistischen Ansicht der Welt. Seine antiillusionistische Technik wird absichtlich als ein resignierter Ausdruck seines verwurzelten Pessimismus benutzt. Die Chinesische Mauer ist ein hoch theatralisches Stück mit der gesellschaftlichen Kritik. Es ist ein vorbildliches Schauspiel, indem Max Frisch theatralische Darstellungsmittel anwendet, die zwar ähnlich wie jene von Brecht und den chinesischen Dramatikern des asiatischen Theaters sind, die jedoch ein ganz anderes Ziel haben, nämlich die Ohnmacht der Literatur und des Theaters zu zeigen. Darum nennt Frisch dieses Schauspiel eine "Farce". Anders als Brecht und Li, die dem einfachen Volk glauben, ist Frisch sehr misstrauisch dem einfachen Volk gegenüber. Es ist Frischs tieferpessimistischer Glaube, der ihn zwingt, diese anscheinend unbedeutsame Angelegenheit zu besprechen. Durch den Heutigen weist Frisch auf die wahre Bedeutung der Mutter in diesem Stück. Es ist die Eitelkeit der Mutter, die eine „entscheidende Rolle” aus ihr macht, weil ihre Einstellung einen großen Einfluss darauf hat, wie die Fabel des Spiels sich entwickelt. Der Heutige versucht, mit der Mutter nachzuweisen, dass ihr Sohn einstummer Junge und deshalb ein Opfer der Tyrannei ist. Die Mutter tut aber so, als ob sie einen heldenhaften Sohn hätte. Das dramatische Spiel der Mutter hat es viel gemein mit dem dramatischen Spiel des Prinzen, weil beide Figuren ihre dramatischen Rollen ändern wollen. Ihre Eitelkeit steht auch für verschiedene unaufrichtige Einstellungen des Volkes, die eine entscheidender Rolle in den tragischen Wendepunktender Weltgeschichte spielen. Frisch versucht nicht nur, die Eitelkeit zu kritisieren. Er will eher seine grundlegende pessimistische Weltanschauung ausdrücken, dass die Welt undurchdringlich ist. Bevor der Heutige über den stummen Sohn der Mutter spricht, will er dem Volk helfen, diejenigen zu durchschauen, die den Namen des Volks zu ihrem Selbstinteresse an Macht und Tyrannei missbrauchen. Dass der Prinz der Anführer des Aufstand wird, führt er als ein gutes Beispiel an. In seiner Rede an die Aufständischen und die Mutter bereuter, dass das Volk eine „Figur” wie der Prinz, die zwar sehr leicht zu durchschauen ist, aber immer zu spät durchschaut”. (84) Nun will er sehen, ob die chinesische Mutter, die „gute und arme Mutter” (84), die anfangs ihre Rolle in der Geschichte verneint, dem Volk helfen kann, die Welt zu durchschauen, indem sie die Wahrheit sagt, dass ihr Sohn, der irrtümlicherweise gefoltert wurde, nicht Min Ko ist. Sein, oder besser, Frischs „einzige Hoffnung” oder „letzte Hoffnung” in diesem ganzen Stück muss sich leider als ein Irrtum zeigen, als die Mutter darauf besteht, ihr Sohn habe wohl ihr stolzer Min Ko sein können. Durch diese Figur demonstriert Frisch seine verwurzelten Pessimismus in der Fähigkeit des Volkes, die Welt zu durchschauen. Sie können in der Tat die „Figur“ des Prinzen, die angeblich leicht zu durchschauen ist, nicht durchschauen. Übrigens zeigt der Heutige, dass er mit seinem allwissenden Horizont die Fähigkeit der „guten und armen“ Mutter nicht ganz genau kennt. Der Heutige, der sonst über einen theatralischen Wissenshorizont verfügt und deshalb imstande zu sein scheint, alles erklären zu können, zeigt sich jedoch durch seine dramatische Perspektive begrenzt und unfähig, das dramatische Spiel der Mutter vorwegzunehmen. Das zeigt, dass der Heutige keine vollständige theatralische Gestalt ist, sondern auch eine dramatische Grenze hat. Dieser moderne, demokratisch gesinnte "Heutige" bemüht sich stets, dem Kaiser und andere Machthaber klarzumachen, dass jede Form der Gewalt, Thronherrschaft, Diktatur und Tyrannei mehr als überholt ist. Das Gleiche macht Brutus, als er die Wirtschaftskapitäne von ihrer Ähnlichkeit mit denjenigen Machthabern beweist. Der Heutige ist deutlich wie der Brutus keine "überzeugende" Figur, die vom Publikum eine Identifikation mit ihm verlangt. Anders als Brutus ist der Heutige unser Zeitgenosse, der ein ausgeprägtes, vernünftiges Bewusstsein vertritt. Doch seine Aktionen bleiben, insbesondere bei der Folterung des stummen Sohnes, abstrakt und rein theoretisch. Er labert viel von Vernunft und tut aber gar nichts Vernünftiges. Deshalb darf er besser von der Verfolgung wegkommen. Er zeigt einen deutlichen Zweifel an der Geschichte, doch letztlich stammt er auch von dieser Gesellschaft, die ihm seine Ohnmacht diktiert hat. Der Heutige ist trotz aller seiner Vernunfterklärung eine ohnmächtige Figur. Es ist aber nicht Frischs Absicht, die Ohnmacht der Intellektuellen anzuprangern. Frisch benutzt eher diese intellektuelle Ohnmacht, um seine pessimistische Weltanschauung zu Tage zu legen. Die Ohnmacht des Heutigen wiederspiegelt auch Frischs Überzeugung der Ohnmacht seiner dramatischen Schöpfung und des Theaters. Die wahrheitssagende Heutige steht vor der Wahl zwischen dem Entzugwegen der Furcht vor dem Tod in Anwesenheit des mächtigen Kaisersund der Verspottung durch den „Preis des Kung Fu Tse“ (F108). Das Wahrheitssagendes Heutigen wird mit der „Erzählung“ verwechselt. „Bravo! Bravo! Das nette ich Poesie“, so meint Hwang Ti ironisch. Durch dieses Kommentarwerden die Intellektuellen und Dichtung für ohnmächtig erklärt. |