Im
Frühjahr 1928 ließ sich Brecht John Gays The Beggar's Opera(1728)
von seiner Mitarbeiterin E. Hauptmann übersetzen. Diese erste englische
ballad
opera war 1920 in London neuinszeniert worden und ging fast zwierinhalb
Jahre lang über die Bretter.
Die
Rohübersetzung gab E. Hauptmann Szene für Szene an Brecht weiter,
die er bearbeiten sollte. Brecht gab der Bearbeitung den vorläufigen
Titel Gesidel. Das Stück betrachtete er zuerst aber nur als
ein Nebenwerk: Er hatte dem Regisseur Piscator ein eigenes Stück Joe
Fleischhacker versprochen und steckte tief in der Arbeit daran. Als
ihn der Schauspieler und Unternehmer Ernst Jiosef Aufricht um ein Stück
bat, mit dem er sein neugemietetes Berliner Theater am Schiffbauderdamm
eröffnen könnte, erwähnt Brecht beilaufig die Bearbeitung.
Aufricht wurde sofort auf die Geschichte von
Gesindel aufmerksam;
er wollte das Manuskript gerne einmal anlesen. Nachdem er die sechs bereits
fertigen Szenen gelesen hatte, war er davon sofort angetan. Er beschloß
mit dem Dramaturgen des Theaters Heinrich Fischer, der der selben Meinung
war, Gesindel anzunehmen und zur Premiere zu bestellen. Erst dann
wurde über die Musik gesprochen. Brecht teilte Aufricht mit, daß
ein gewisser Kurt Weill auch an der Arbeit sei und eine neue Musik schreibe.
Aufricht fand die Musik Weills, der zwei Opereinakter Der Zar läßt
sich photographieren und Protagonist komponiert hatte, zu atonal
und fürchtete, er sei nicht in der Lage, publikumswirksame Musik für
das Theaterstück zu schreiben. Vorsichtshalber bat er heimlich Theo
Macheben, den er mit der musikalischen Einstudierung beauftragt hatte,
die Originalmusik von Pepusch als Ersatz bereit zu halten.
Die
Premiere wurde auf den 28. August 1928 festgelegt. Das stück war noch
nicht fertig, die meisten Songs nicht geschrieben. Brecht stellte die Arbeit
an Joe Fleischchhacker zurück und setzte alles auf die Bearbeitung.
Um in Ruhe arbeiten zu können, schrieben Brecht und Weill die letzten
Szenen in Le Lavendou an der französischen Riviera. Zugleich stellten
die Besetzung zusammen. Als Brecht und Weill im Juli von Südfrankreich
nach Berlin zurückkehrten, waren sie mit der Besetzung zufrieden.
Anfang
August begannen die Proben, die zu einer Reihe von Auseinandersetzungen
und Pannen führten. Die Uraufführung wurde nach anfänglicher
Zurückhaltung der Zuschauer zu einem riesigen Erfolg, der als der
größte Erfolg der zwanziger Jahre in die Theatergeschichte einging,
obwohl es vorher den Anshein gehabt hatte, als ob alles schief gehen würde.
Wie die Melodien der Songs, die überall, selbst auf der Straße
gepfiffen wurden, waren die Schauspieler um Brecht rasch beliebt geworden.
Schon bald wurde das Stück in anderen deutschen Theatern aufgefuhrt.
Das Stück lief fast ein Jahr in Berlin. Dann ging es über die
Grenzen Deutschlands hinaus; es ging in Mokau, Paris, Warschau, Prag usw.
über die Bretter.
Die
Kritiker waren aber gar nicht so begeistert wie das Publikum. Nicht nur,
wie selbstveständlich und unvermeidlich, von der Rechtspresse, sondern
auch von links kamen die Einwände. So schrib u.a. Kurt Tucholsky:
"Selbst ein Sieg wäre keiner: es andert sich nichts, wenn die kölner
oder die darmstädter Bürger dem höchst ungefahrlichen Brecht
zujubeln. Dadurch werden die Arbeitslosen auch nicht weniger." Ferner rügte
er, daß das Leben gar nicht so sei, wie es in der Dreigroschenoper
dargestellt werde. Die Beziehung zu Deutschland 1930 bleibe "flau". Die
Polemik verschärfte schließlich Alfred Kerr, der neben H. Jhering
der einflußreichste Theaterkritiker der Weimarer Republik und Brechts
Erzfeind war, durch seine Anschuldigung, Brecht habe mehrere Verse Villons
in der Übertragung K.L. Ammers verwendet, ohne den Namen des Übersetzers
zu nennen. Auf den Plagiatvorwurf erwiderte Brecht höhnisch, er habe
aus seiner "grundsätzlichen Laxheit in Fragen geistigen Eigentums"
die erwähnung des Namens Ammer leider vergessen."
Brecht
war bald wohl selber mit der Anlage der Oper nicht mehr zufrieden. Denn
bereits in der zwei Jahre später veröffentlichten Prosaskizze
des Dreigroschenoperfilms Die Beule verdeutlichte und verschärfte
er die Fabel der Oper und griff eine Fülle neuer und aktueller Wirklichkeitselemente
auf. Die neue Ansicht, die Brecht in der Verfilmung der Dreigroschenoper
vertrat, wurde aber von der Nero-Filmgesellschaft abgelehnt. Die Auseineindersetzung
führte zum Dreigroschenprozeß, den Brecht aber verlor. Er betrachtete
seinen verlorenen Prozeß jedoch als ein gelungenes soziologisches
Experiment. Diese Erfahrungen sammelte er in seinen Aufsatz "Der Dreigroschenprozeß"
(1930).
Im
Jahre 1934 veröffentlichte Brecht in der Emigration den
Dreigroschenroman.
Obwohl das Ziel des Romans dasselbe, das er bei der Gestaltung der Dreigroschenoper
gehabt hatte--die Kompromittierung der bürgerlichen Gesellschaft--,
blieb und der Roman Fabel und Helden mit der Oper gemein hatte, gehörten
die beiden Werke mit unterschiedlichen soziologischen Anschauungen zu zwei
verschiedenen Entwicklungsphasen Brechts. In seinem Dreigroschenroman
baute er seine neugewonnene marxistische Weltanschauung ein.
Auszug aus Peter Yang: "Brechts
Theorie des epischen Theaters in der Entstehungsphase: Dargestellt an der
Dreigroschenoper"
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