Der kaukasische Kreidekreis

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 | Entstehungsgeschichte| Interpretation| Analyse| Fragen| Eine Aufführung| Der chinesische Kreidekreis von Li Xingdao

     Der kaukasische Kreidekreis von Bertolt Brecht ist eines der wichtigsten Stücke von Bertolt Brecht  und  eines der meistgespieltesten deutschen Stücke. Es wird oft als ein Musterstück des epischen Theaters betrachtet. Die Motive, die in diesen Stück benutzt werden, finden sich nicht nur in der Bibel, den buddhistischen und islamischen Erzählungen, sondern auch im chinesischen Stück Hui-Lan-Ji (Kreidekreis) [Zum Vergleich der beiden Stücke, clicke hier] von Li Xing-dao aus dem 13. Jahrhundert. Der kaukasische Kreidekreis hat einen ähnlichen weisen Richter wie das chinesische Stück. Die Zwecke der richterlichen Weisheiten sind ähnlich: diejenige Frau wird erkannt, die sich mütterlich zu dem jeweiligen Kind verhält. Brecht benutzt die Weisheit aber auf eine neue Weise: Nicht die leibliche Mutter, sondern die Mütterlichkeit wird durch Probe erkannt und anerkannt.

Bertolt Brecht begann mit seinem Kreidekreisstück in seinem USA-Exil. Aber das Stück hat eine längere Entstehungsgeschichte. Wegen seiner politischen Überzeugung was es nur selbstverständlich, daß Brecht seine Kreidekreisgeschichte in Kaukasien spielen und sie in der nachkriegssowjetischen Situation aufführen ließ. Daraus entstanden zwei Geschichten--eine "eigentliche" Kreidekreisgeschichte und eine sowjetische. Beide Geschichten handeln vom Krieg. Während das Dienstmädchen Grusche ihre mütterliche Liebe zu dem durch Bürgerkriegsunruhe mutterlos gewordenen Kind, das sie vor zahllosen Gefahren gerettet hat, beweist und es durch den richterlichen Zuspruch gewinnt, können die Kolchosenbauern ihren Nachkriegseigentumsstreit ums Tal durch Beweise besserer Fürsorge und Anwendung lösen. Die sowjetische Version der Eigentumslösung, die durch das Vorspiel des Stücks vertritt, wurde jedoch lange Zeit im Westen abgelehnt.

Nach einem Staatsstreich gegen den Großfürsten wird der Gouverneur Abaschwili hingerichtet.  Die Gouverneurin kann davonkommen, sie erweist sich aber als lieblos zu ihrem Kind. Sie flüchtet mit ihren Wertsachen, läßt aber ihren Sohn Michel einfach zurück.  Grusche Vachnadze ist einfaches Dienstmädchen. Sie ist sich der Gefahr,  mit dem Gouverneurserben erwischt zu werden, völlig bewußt und braucht eine ganze Nacht, bevor sie der „schrecklichen Verführung der Güte" erliegt. Sie erkennt vor allem, daß es hier um das Leben des Kindes geht und sein Leben nun von ihr abhängt, und daß sie sich dem Anspruch des Kindes auf ihre Hilfe nicht entziehen kann.

So nimmt Grusche das Kind auf die Flucht und flieht mit ihm vor den Verfolgern ins Gebirge, da der Thronfolger überall gesucht wird, und 1000 Piaster auf seine Ergreifung ausgesetzt sind. Ihre Flucht zeigt sich als eine entbehrungsreiche Wanderung. Grusche hat kaum Geld, um Michel zu ernähren. Sie möchte auch gern so schnell wie möglich vom Kind weg und ist dabei, das hilfsbedürftige Kind vor dem Bauernhaus liegen zu lassen. Als sie aber sieht, daß das Kind dadurch wieder der Verfolgung ausgesetzt ist, bringt sie nicht fertig. Die Schergen des Fürsten Kazbeki, die Panzerreiter sind ihr auf den Fersen, Grusche entkommt ihnen jedoch immer mit Glück.  Sie unterscheidet sich darin nicht nur von der Frau des Gouverneurs, die sich mehr um ihre teuren Kleider als um ihr Kind kümmert, sondern von allen umstehenden Personen.

Im Gebirge gelangt sie dann endlich zu ihrem Bruder, der inzwischen mit einer sehr frommen Frau verheiratet ist. Obwohl Grusche mit dem Soldaten Simon verlobt ist, heiratet sie einen angeblich sterbenskranken Bauern, um das Kind durch ein "Papier mit Stempel" vor dem wachsenden Mißtrauen ihrer Schwägerin zu schützen. Dieser Bauer erweist sich aber plötzlich als kerngesund, nachdem er die Nachricht über das Ende des Krieges hört.

Nachdem der Bürgerkrieg vorbei ist und die Ordnung wieder herrscht, kehrt die Gouverneurin zurück und will die Herausgabe ihres Kindes erstreiten. Der Fall wird von dem einfachen, aber schlauen Dorfschreiber Azdak verhandelt, der im Chaos des Kriegs von den Soldaten als Armeleuterichter eingesetzt wird und zu Amt und Würden gelangt ist. Hemmungslos nutzt nun er sein hohes Amt in der chaotischen Zeit aus, um sich und die Armen zu bereichern und die Reichen durch "absurde" Strafen zu verdonnern.

Azdak, auf seltsame Weise der Rache seiner früheren Opfer entronnen, muß nun entscheiden, welcher der "beiden" Mütter das Kind zuzusprechen. Die alte chinesische Weisheit von Kreidekreis läßt ihn eine Probe mit der Güte der Mütterlichkeit ersinnen. Azdak ordnet an, den Beweis der Mutterschaft zu erbringen. Er läßt das Kind in einen Kreidekreis stellen. Beide Frauen sollen gleichzeitig versuchen, das Kind zu sich aus dem Kreis herauszuziehen. Schließlich zeigt Grusche ihre Mutterschaft zum Kind, da sie zuerst losläßt, damit dem Kind kein Leid geschieht. Nicht Erbrecht und Blutsbande entscheiden, sondern die Mutterschaft, die sich durch  wahre Liebe und Aufopferung entwickelt hat.

Über Brechts Kreidekreisstück und seine chinesische Vorlage Hui-Lan-Ji" [Kreidekreis] gibt es zahlreiche Untersuchungen. Die meisten konzentrieren sich auf thematischen Aspekten der beiden Stücke. Neulich ist eine neue Untersuchung der beiden Kreidekreisstücke veröffentlicht (Peter Lang Verlag), die sich den ästhetischen Aspekten der beiden Stücke widmet. Anhand zahlreicher Beispiele der beiden Stücke regt die Untersuchung an, die bestehenden Theorien zum epischen Theater neu zu überdenken.


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