Der Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt--Werkgeschichte

Sie können Leben und Werk von Dürrenmatt, Entstehung, Inhaltsangabe, Interpretation und Analyse von Charaktere und Fragen zu Der Besuch der alten Dame lesen. 

DürrenmattsDer Besuch der alten Dame steht im Zeichen der nachkriegerischen Hochkonjunktur, des politischen und moralischen Konservatismus. Der Wiederaufbau konnte durch Frieden in Europa, harte Arbeit in einzelnen westeuropäischen Ländern und die US-Marshallplan-Hilfe einen unvorstellbaren wirtschaftlichen Aufschwung und einen wachsenden Konsumerismus erzielen, den man in der Bundesrepublik als "Wirtschaftswunder" bezeichnete. In der Schweiz, dem Heimatland Dürrenmatts, sah man diese Hochkonjunktur umso deutlicher. Verschont vom Krieg auf Grund ihres Neutralitätsstatus, wurde das Leben großer Teile der schweizerischen Bevölkerung durch eine beinahe paradiesischen Sorglosigkeit gekennzeichnet. Von dieser Hochkonjunktur profitierten insbesondere die Kapitelbesitzer. Geld schien allmächtig. Den kritischen Ton in diesem Zusammenhang kann man deutlich an diesem Stück Dürrenmatts erkennen, das ursprünglich den Untertitel "Komödie der Hochkonjunktur" tragen sollte. Auf der anderen Seite wurde in dieser Nachkriegszeit versucht, die alte Machtstruktur wiederherzustellen und die uns heute altmodisch erscheinende Sexualmoral, die die damals eher seltenen Ehescheidungen gesellschaftlich verpönte, beizubehalten.
1962 erklärte Dürrenmatt, wie er zum Grundeinfall zur Besuch-Geschichte kam. Ursprünglich war das Motiv des Besuches für eine Novelle namens "Mondfinsternis" bestimmt. Der Schauplatz war ein Bergdorf. Die Hauptperson, Walt Lotcher, war ein Auswanderer, der nach vierzig Jahren der Abwesenheit aus Kanada in sein armes Heimatdorf zurückkehrt. Die Handlung ging um die Rache Lotchers, der inzwischen es zum Multimillionär gebracht hat, an seinem ehemaligen Rivalen, Döufu Mani, im Bergdorf. Der heimkehrende Multimillionär bietet dafür vierzehn Millionen, eine für jede Dorffamilie. Die Dorfgemeinde beschließt, das Angebot anzunehmen. Die Vollstreckung des Mordes in einer Vollmondnacht wird von einem Zwischenfall einer Mondfinsternis verzögert. Nach diesem gemeinschaftlichen Mord erleidet Lotcher auf seiner Abreise einen Herzanfall und wird unter Schneemassen begraben. 
Die geplante Novelle wurde damals nicht veröffentlicht -- das geschah erst 25 Jahre später. Dürrenmatt machte aus diesem Stoff ein Theaterstück, weil er glaubte, mit einem Theaterstück besser Geld verdienen zu können. Dafür veränderte Dürrenmatt die Geschichte. Die Hauptperson des Auswanderers verwandelte sich in die Multimilliardärin Claire Zachanassian. Der Schauplatz des Bergdorfes verlegte sich zur Kleinstadt Güllen, die ein kleines Bahnhöfchen hat. Das kleine Bahnhöfchen begründete Dürrenmatt durch bühnentechnische Notwendigkeit. Er fragte sich, wie er diese Kleinstadt auf die Bühne bringen sollte. Das Bild solcher kleinen Bahnhöfe hatte er aus seiner eigenen Bahnreisen gewonnen. Dürrenmatt glaubte, dass er dieses typische Bild als Bild der Kleinstadt für Bühne sehr gut verwenden konnte. Als Symbol für Armut der Kleinstadt ließ er die Schnellzüge dort nicht mehr anhalten. Er ließ die Milliardärin mit einem Zug ankommen, da er unbedingt den Bahnhof auf der Bühne haben wollte. Anstatt eines Extrazugs wählte er einen Bummelzug für sie. Natürlich musste sie dann einen Autounfall gehabt haben, um nicht mit dem Auto fahren zu können; und mit der Notbremse den Zug anhalten, um mehr Sensation für die Milliardärin zu verursachen. Aus Theaternotwendigkeiten entstanden offensichtlich groteske Einfälle, die den Zuschauer sowohl ansprechen als auch schockieren. 

Der Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt wurde 1956 in Basel uraufgeführt. Später bezeichnete er dieser Inszenierung als ein "unbeschreibliches Durcheinander". Die Hauptprobe, die zum erstenmal Bühnenbild verwendete, Generalprobe und Premiere geschahen alles am gleichen Tag. 

Dieses Stück stellte sich als ein Riesenerfolg für Dürrenmatt. Dieses Stück hatte eine durchschlagende Wirkung und wurde das meistgespielte und von den Literaturkritikern meistanalysierte Stück Dürrenmatts und machte aus Dürrenmatt über Nacht einen weltberühmten Autor. Es war so erfolgreich, dass das Stück schon zwei Jahre später eine Broadway-Bearbeitung von von Maurice Valency (The Visit) und 1964 wieder eine gleichnamige Verfilmung von Ben Barzman erlebte. Diese Amerikanisierung des Stückes baute Dürrenmatts Ruhm weiter in Amerika aus. Die amerikanischen Verarbeitungen veränderten aber die dichterische Absicht dieses Stückes. Es handelte sich bei ihnen um eine Entschärfung der bitteren gesellschaftlichen Entlarvung und Entfernung der moralischen Abrechnung. Der Filmverarbeiter beispielsweise strich nicht nur den Mord an Serge Miller (statt Ill, um die Assonanz von "ill" ["krank"] zu vermeiden) weg, sondern verwandelte auch den grotesken Schluss dieser tragischen Komödie in ein Hollywood-spezifisches und durch die konventionelle Sentimentalität kennzeichnetes happy ending. Karla verzeiht nicht nur allen, einschließlich Serge Miller, sondern schenkt auch großzügig Güllen die Million. Dürrenmatt war mit diesen amerikanischen Revisionen des Stückes nicht besonders glücklich und wies 1980 darauf hin, dass dieses Stück sein "missverstandenste" Stück sei. 1992 ergab sich eine afrikanische Verfilmung des Stückes in Senegal unter dem Titel Hyenès (Hyenas), die den grotesken Schluss des Besuch-Stückes Dürrenmatts ganz zeremoniell in afrikanischer Weise durchführt.


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